« Januar 2018 | Startseite | März 2018 »

Archiv vom Februar 2018

Filmkritik: "Die Verlegerin"

Geschrieben am Sonntag 25 Februar 2018 um 22:29 von Roland Freist

Gegen alle Widerstände

Die späten 60er und frühen 70er Jahre sind eine der wichtigsten Perioden der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Mit Nixon hatte ein machtbesessener Paranoiker das Weiße Haus erobert, in einem Tausende von Kilometern entfernten Land lernten die USA, dass ihr moralischer Anspruch und die eigene militärische Überlegenheit mehr als zweifelhaft waren, und in der Heimat kämpfte eine starke Bürgerrechtsbewegung gegen Rassendiskriminierung und den Versuch, die Meinungs- und Pressefreiheit einzuschränken. Dutzende, vielleicht sogar Hunderte von Filmen sind über diese Zeit entstanden. Einer der besten ist der neue Film von Steven Spielberg, "Die Verlegerin".

Allerdings ist der deutsche Titel unglücklich gewählt. Im Original heißt der Film "The Post", weil er Geschehnisse rund um die Washington Post im Jahr 1971 erzählt. Vermutlich hatte der deutsche Verleih Angst, dass hierzulande zu wenig Menschen mit dem Namen der Zeitung etwas anfangen könnten. Und "Die Post" wäre ja nun wirklich keine passende Übersetzung gewesen. "Die Verlegerin" reduziert die Story jedoch auf Kay Graham, gespielt von Meryl Streep, die damalige, noch recht unerfahrene Verlegerin der Zeitung. Und das wird dem Film nicht gerecht, denn es geht nicht um eine einzelne Person, sondern um Journalismus und die politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeiten, in denen er sich befindet und gegen die er ständig ankämpfen muss.

Der Film erzählt von der Veröffentlichung der Pentagon Papers. Der ehemalige Verteidigungsminister Robert McNamara (Bruce Greenwood) hatte diese Studie einige Jahre zuvor in Auftrag gegeben, um mit internen Regierungsinformationen die Vorgeschichte und den Verlauf der amerikanischen Beteiligung am Vietnamkrieg für spätere Generationen zu dokumentieren. Viele der Ergebnisse der Studie standen im Widerspruch zu offiziellen Aussagen der amerikanischen Regierungen unter Truman, Eisenhower, Kennedy, Johnson und Nixon. Unter anderem zeigten die Pentagon Papers, dass McNamara den Krieg bereits Mitte der 60er Jahre verlorengegeben hatte. Die Studie wurde daher unter Verschluss gehalten.

1971 wurden die Dokumente jedoch der New York Times zugespielt, die in der Folge in mehreren Ausgaben Teile davon veröffentlichten und kommentierten. Die Washington Post war zu dieser Zeit ein Regionalblatt, außerhalb der Hauptstadt wurde sie kaum gelesen. Doch sie hatte mit Ben Bradlee (Tom Hanks) einen begeisterten Journalisten als Chefredakteur. Als es einem seiner Redakteure gelingt, eine Kopie der Pentagon Papers zu beschaffen, zögert er keine Sekunde, das Thema auf die Titelseite zu heben. Doch dem stehen die enge Freundschaft der Verlegerin Kay Graham mit Robert McNamara, der geplante Börsengang der Post und auch die Freundschaft von Bradlee mit dem ermordeten Kennedy entgegen.

Steven Spielberg spielt bei "Die Verlegerin" seine ganze Routine aus. Vielleicht sogar etwa zu viel: Der Film beginnt, natürlich, könnte man schon fast sagen, mit Szenen aus dem Vietnamkrieg, untermalt mit "Run through the jungle" von Creedence Clearwater Revival. "Nicht schon wieder", denkt man sich, doch dann wird’s schnell besser. Wie der Film anschließend die Vorgeschichte und die aktuelle Situation der Zeitung skizziert, die Figuren vorstellt und die Story an Fahrt aufnehmen lässt – das ist wirklich meisterhaft. Dazu kommen die Perfektion von Kamera (Janusz Kaminski) und Schnitt (Sarah Broshar, Michael Kahn) und die hohe Qualität der beiden Hauptdarsteller, von denen sich Tom Hanks in seiner Rolle ein klein wenig wohler zu fühlen scheint als Meryl Streep. Alles zusammen ergibt einen der besten Filme des Jahres.

"Die Verlegerin" ist ein altmodischer Film. Er arbeitet mit den jahrzehntelang erprobten Stilmitteln von Hollywood, baut Spannung und Emotion unglaublich präzise und gekonnt auf. Spielberg demonstriert, welche Kraft das Hollywood-Konzept immer noch entfalten kann, vor allem, wenn es um die Verteidigung der bürgerlichen Freiheiten geht. Der Film wurde in gerade einmal anderthalb Monaten im Sommer 2017 abgedreht, in einer Zeit also, in welcher der amtierende amerikanische Präsident die Presse der Verbreitung von Fake News beschuldigte und die freie Berichterstattung in Frage stellte. Spielberg hat darauf eine wunderbar souveräne Antwort gegeben.

"Die Verlegerin" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Black Panther"

Geschrieben am Mittwoch 21 Februar 2018 um 22:09 von Roland Freist

Afrikanische Utopie

Superhelden-Filme sind nicht per se schlecht. Es gibt bessere ("Spider-Man I" und II, die beiden "Batman"-Filme von Tim Burton und "The Dark Knight", der erste "Superman") und es gibt schlechtere ("Avengers", "Elektra") unter ihnen. Doch nur selten gingen die Regisseure und Drehbuchautoren beim Konzipieren der Handlung über das alte Gute-gegen-Böse-Schema hinaus, ein Film wie der zweite Spider-Man, der den inneren, moralischen Konflikt seines Protagonisten abwog, war die ganz große Ausnahme. Doch jetzt scheint sich Hollywood ganz vorsichtig daran zu machen, aus den Superhelden-Geschichten mehr herauszuholen. "Wonder Woman", gedreht von einer Frau, war im letzten Jahr ein vorsichtiger Ansatz, eine starke, unabhängige Frau als Heldin zu etablieren. "Black Panther" geht noch einen Schritt weiter und setzt auf einen nahezu komplett schwarzen Cast mit einem schwarzen Superhelden als Mittelpunkt. Und mehr noch: Der Film hat sogar eine politische Botschaft, die der aktuellen Linie des Weißen Hauses diametral entgegensteht.

Der Black Panther heißt mit bürgerlichem Namen T’Challa (Chadwick Boseman) und kommt aus Wakanda, einem kleinen, von der Außenwelt weitgehend abgeschnittenen Land im Herzen von Afrika. Vor einigen Jahrhunderten ging dort ein Meteor nieder, der eine große Menge des Metalls Vibranium enthielt, das ansonsten nirgendwo auf der Erde existiert. Damit konnten die Bewohner nicht nur Energie erzeugen und eine blühende High-tech-Kultur aufbauen, Vibranium ermöglichte ihnen auch das Aufspannen eines Tarnschirms, der die Hochhäuser und futuristischen Fahrzeuge des Landes vor fremden Augen verbarg und es wie einen armen, von Ackerbau und Viehzucht geprägten Staat aussehen ließ.

Zu Beginn soll T’Challa als Nachfolger seines Vaters zum neuen König ernannt werden. Doch es gibt Herausforderer, allen voran sein verschollen geglaubter Cousin Killmonger (Michael B. Jordan), der ihn dann auch im Kampf besiegt. Nachdem er den Königsthron bestiegen hat, beginnt Killmonger, mit den Ressourcen und hochentwickelten Waffen von Wakanda unterdrückte Gruppen im Ausland zu unterstützen und Kriege anzuzetteln.

Tatsächlich passiert noch wesentlich mehr, die Handlung von "Black Panther" ist teilweise recht verworren. Es treten unter anderem noch ein weißer Waffenschmuggler (Andy Serkis), ein CIA-Agent (Martin Freeman), Verräter, Ex-Geliebte, ein weiser Berater (Forest Whitaker), eine superkluge Wissenschaftlerin (Letitia Wright) sowie die Mitglieder einer weiblichen Elitetruppe auf. Am Anfang tut sich der Film schwer, die Ausgangssituation und die Besonderheiten von Wakanda zu erklären. Der Erzählfluss ist stockend, dazu steht gleich zu Beginn eines dieser öden Mann-gegen-Mann-Duelle, auf welche die Marvel-Streifen offenbar nicht verzichten können. Später jedoch nimmt die Handlung Fahrt auf, findet ihren Rhythmus, und der Film wird tatsächlich recht unterhaltsam, selbst als es gegen Ende noch zu einem zweiten, episch ausgebreiteten Duell kommt.

Die Atmosphäre von "Black Panther" ist von Anfang bis Ende durchgehend afrikanisch, dazu tragen die bunten Gewänder und archaischen Riten genauso bei wie die wüste Trommelorgie, die der aktuell angesagteste Rapper der Welt, Kendrick Lamar, für den Score komponiert hat. Zusammen mit der technisch fortgeschrittenen Zivilisation von Wakanda ergibt das eine seltsame Mischung, die aber in sich stimmig ist – eine der größten Leistungen des Films. Wakanda ist erkennbar nicht aus den christlich-jüdischen Traditionen der westlichen Welt entstanden, sondern hat eine eigene Entwicklung durchgemacht. Das Land und seine Gesellschaft ist eine afrikanische Utopie.

Die einzelnen Figuren hingegen, allen voran T’Challa und Killmonger, entsprechen leider den üblichen Stereotypen von Hollywood und der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Hinzu kommen die zahlreichen Anleihen, die "Black Panther" bei großen, erfolgreichen Filmen der Vergangenheit nimmt, angefangen bei "James Bond" über "Katzenmenschen" bis hin zu "Star Wars", was die Faszination der Kultur, die hier entworfen wird, deutlich abschwächt.

"Black Panther" hat einige großartige Ideen und Ansätze, setzt sie allerdings nicht konsequent genug um. Trotzdem gehört der Film trotz all seiner hektischen Handlungsentwicklung zu den besseren Superhelden-Streifen und funktioniert auf Wunsch sogar als reines Action-Spektakel noch recht gut.

"Black Panther" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Shape of Water – das Flüstern des Wassers"

Geschrieben am Freitag 16 Februar 2018 um 0:09 von Roland Freist

Ich liebe einen Wassermann

Schau an, dieser Guillermo del Toro ist ja ein echter Romantiker. Man hätte es sich zwar denken können, nachdem er uns bereits in "Hellboy" eine Ausgeburt der Hölle vorgestellt hatte, die an fortgeschrittenem Liebeskummer litt. Dennoch kommt "Shape of Water" einigermaßen überraschend. Der mexikanische Regisseur, bekannt für seine Horror- und Superhelden-Filme, legt hier ein Märchen im Stil von "Die Schöne und das Biest" vor.

Allerdings ohne Schöne beziehungsweise ohne eine Frau von großer äußerer Schönheit. Elisa Esposito (Sally Hawkins) ist der Typ der unauffälligen Nachbarin, schüchtern und notgedrungen stumm – in ihrer Kindheit wurde ihr Kehlkopf beschädigt, seither kann sie nicht mehr sprechen. Sie arbeitet als Putzfrau in einem Gebäude des US-Militärs. Es sind die frühen 60er Jahre, jeder hat Angst vor einem Atomkrieg, gleichzeitig versuchen Amerikaner und Russen sich beim Wettlauf ins All zu übertrumpfen.

Da kommt ein neues "Objekt" in das Gebäude, ein Wasserwesen, gefangen im Amazonas. In der äußeren Form ähnelt es einem Menschen, doch seine Haut ist von Schuppen überzogen, es atmet durch Kiemen und hat die großen Augen eines Fisches. Mitgebracht hat es Richard Strickland (Michael Shannon), einer der größten Unsympathen der Kinogeschichte. Er ist ein rassistischer, gefühlloser Militärangehöriger, der das Wasserwesen mit einem Elektroschocker traktiert und foltert. Dass es sich um ein intelligentes Wesen handelt, will er nicht wahrhaben, ebenso wenig wie sein Vorgesetzter, ein General, der sich von der Untersuchung Aufschlüsse darüber verspricht, wie sich der Menschen an das Leben im Weltall anpassen könnte.

Elisa jedoch nimmt heimlich Kontakt mit dem Wassermenschen auf, bringt ihm die Gebärdensprache bei und verliebt sich in ihn. Schließlich schmiedet sie einen Plan, um ihn mithilfe ihrer Kollegin Zelda (Octavia Spencer, "The Help") und ihres Nachbarn, des erfolglosen, schwulen Werbegrafikers Giles (Richard Jenkins) zu entführen und in die Freiheit zu entlassen.

Diese Geschichte wird vor dem Hintergrund alter, schwarzweißer Liebesfilme und Musicals aus den 40er und 50er Jahren erzählt, die ständig irgendwo in einem Fernseher laufen. Auch der Score von "Shape of Water" ist gefüllt mit Musik aus jener Zeit, dazu wohnen Elisa und Giles auch noch über einem Kino. Del Toro stellt den Film in die große Tradition der Musikfilme aus Hollywood, die immer schon eine märchenhafte Atmosphäre zu vermitteln suchten.

Gleichzeitig verleugnet er aber auch nicht seine Wurzeln: Wenn Stricklands Finger, die das Wasserwesen ihm abgebissen hat, zusehends zu eitern und zu faulen beginnen, spielt er, vielleicht sogar mit einem leicht vergnügten Grinsen, mit den Mitteln des Horrorfilms. Auf der anderen Seite sorgt die wunderbare Octavia Spencer mit ihrem unfehlbaren Gespür für Timing immer wieder für komische Szenen. Allerdings hat auch allein schon die Idee, das Plappermaul Sally Hawkins ("Happy-Go-Lucky") mehr als zwei Stunden lang kein einziges Wort sagen zu lassen, einen gewissen Witz (zwar sagt sie zwischendurch dann schon einen Satz, allerdings ist unklar, ob es sich nicht um eine Traumsequenz handelt).

Schauspielerisch ist der Film toll. Hawkins, Spencer, Jenkins, Shannon und auch Michael Stuhlbarg ("Arrival") in einer Nebenrolle als Wissenschaftler agieren auf höchstem Niveau. Dazu kommt die gut getroffene, spießige Atmosphäre der frühen 60er, die tolle Ausstattung mit den zahlreichen Details, die ruhig durch die Räume gleitende Kamera – del Toro hat alles richtig gemacht.

Und doch will sich dann letztlich nicht das Gefühl einstellen, einen wirklich großen Film gesehen zu haben. Denn "Shape of Things" berührt einen nicht, lässt einen vielmehr mit dem Eindruck aus dem Kino gehen, einen zwar hervorragend gemachten, vielschichtigen Film gesehen zu haben, bei dem man jedoch mit der Hauptfigur ebenso wenig mitgefiebert hat wie mit Ginger Roberts bei einer Affäre mit Fred Astaire.

"Shape of Things – das Flüstern des Wassers" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Mittwoch 21 Februar 2018 22:36

Filmkritik: "Wind River"

Geschrieben am Dienstag 13 Februar 2018 um 21:50 von Roland Freist

Tod im Schnee

Moderne Western wie "Wind River" haben einen ganz eigenen Reiz: Sie arbeiten mit den Figuren und Klischees der großen amerikanischen Filmtradition, mit schweigsamen Männern, harten, duldsamen Frauen und einer weiten, lebensfeindlichen Natur, und verbinden sie mit aktuellen Problemen wie Drogensucht, brutalen sexuellen Übergriffen und bürokratischen Kompetenzstreitigkeiten. Das funktioniert mal besser und mal schlechter. Dieser Film gehört zu den besseren Beispielen.

Das beherrschende Thema ist die Kälte während der Winter im mittleren Westen der USA. Dort, in Wyoming, wo die Temperaturen bis auf minus 30 Grad rutschen können, lebt Cory Lambert (Jeremy Renner), der sein Geld als Jäger verdient. Die örtlichen Viehzüchter heuern ihn an, um Wölfe oder andere Raubtiere abzuschießen, die ihre Herden bedrohen. Eines Tages findet er die Leiche eines jungen Mädchens, wie sich herausstellt, eine Freundin seiner verstorbenen Tochter, das mit nackten Füßen vor etwas weggerannt und erfroren ist. Die Fundstelle liegt in einem Indianerreservat, der dortige Sheriff (Graham Greene, "Der mit dem Wolf tanzt") ruft das FBI. Das erscheint in Gestalt der Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen, "Godzilla"), die von ihrer Dienststelle in Las Vegas nach Wyoming geschickt wurde und von den Bedingungen und Gefahren des Lebens bei eisigen Temperaturen keine Ahnung hat. Daher engagiert sie Lambert als eine Art Berater, und gemeinsam beginnen sie die Suche nach den Ursachen für den Tod des Mädchens.

Die Hauptfigur ist Lambert, ein Einheimischer, der mit einigen der Indianer bereits zur Schule gegangen ist. Er war selbst mit einer Indianerin (Kelsey Asbille) verheiratet, bis die Beziehung nach dem Tod ihrer gemeinsamen Tochter auseinanderbrach. Er redet nicht viel, aber der Film gibt sich große Mühe, damit der Zuschauer das, was in ihm vorgeht, zumindest erahnen kann. Jeremy Renner ("Tödlisches Kommando – The Hurt Locker") macht das gut, er beherrscht die Kunst, mit minimalem Einsatz einen eindrucksvollen Charakter zu erschaffen.

Leider sind nicht alle Charaktere so detailliert gezeichnet. Elizabeth Olsen und Graham Greene sind zwar gut in ihren Rollen, aber ihr Background bleibt völlig im Dunkeln. Man weiß nicht, was sie antreibt, wo sie herkommen oder was sie denken. Sie bleiben Fremde in einem Film, der sich auf einige wenige Figuren beschränkt. Das ist schade, zumal es auch wenig Handlung gibt und es Regisseur Taylor Sheridan – er hatte zuvor die Drehbücher zu "Sicario" und "Hell or High Water" geschrieben – erkennbar weniger um die Auflösung des Mordfalls als um die Zeichnung seiner Hauptfigur geht.

"Wind River" erntet aber noch einen weiteren, großen Minuspunkt, und zwar für die klischeehaften Details. Dass ein Jäger wie Lambert natürlich ein einsames, schweigsames Leben führt, nimmt man sogar noch recht gerne in Kauf, denn es ist einem lieber als ein ständig von seinen Heldentaten plappernder Protagonist. Aber müssen junge Indianer im Reservat wirklich in jedem Film drogensüchtig sein? Und müssen sie tatsächlich immer wieder von der Langeweile und Perspektivlosigkeit ihres Lebens in die Sucht getrieben werden?

Ärgerlich ist auch, dass zwar ständig die Kälte und Grausamkeit des Wyoming-Winters beschworen wird, tatsächlich jedoch niemand und in keiner Situation eine Atemfahne vor dem Mund hat, und zudem in einzelnen Einstellungen deutlich zu erkennen ist, dass der Schnee auf den Straßen zu Matsch geschmolzen ist.

Die beiden großen Pluspunkte des Films sind Jeremy Renner und die realistische Darstellung des Lebens in dieser gottverlassenen Gegend, hinzu kommt eine außerordentlich gute Kamera. "Wind River" hat außerdem einen packenden, intensiven Rhythmus, der dafür sorgt, dass trotz der eher mäßigen Spannung bei der Verbrechensaufklärung keine Langeweile aufkommt.

"Wind River" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Der seidene Faden"

Geschrieben am Mittwoch 07 Februar 2018 um 22:39 von Roland Freist

Schneider am Rande des Nervenzusammenbruchs

Dies ist ein langer, ein sehr langer Film und über weite Strecken auch ziemlich langweilig. Aber er strahlt eine gewisse Faszination aus, und zwar von der Sorte, dass man sich noch auf dem Nachhauseweg fragt, was da jetzt eigentlich geschehen ist. Es ist ein langer, aber guter Film.

Es sind die 50er Jahre in London. Daniel Day-Lewis spielt den Modeschöpfer Reynolds Woodcock, einen hypersensiblen Künstler mit genialischer Herbert-von-Karajan-Frisur, vom Typ her eine Mischung aus Yves Saint Laurent und Karl Lagerfeld. Er lebt und arbeitet in einem alten Haus, abgeschirmt von der Welt durch seine Schwester Cyril (Lesley Manville), die alles tut, damit er bei seiner Arbeit nicht gestört wird. Dazu gehört auch, seine wechselnden Frauen zu organisieren und wegzuschicken, wenn sich abzeichnet, dass sie für ihn zur Belastung werden.

Reynolds Woodcock ist ein schwieriger Charakter. Er kann wegen Kleinigkeiten ausrasten, etwa wenn jemand beim Frühstück, das er schweigend und Entwürfe zeichnend verbringt, den Toast zu laut streicht. Er wird wütend, wenn man seinen Spargel mit zerlassener Butter macht anstatt mit dem von ihm bevorzugten Öl. In solchen Situationen wird er ausfallend und beleidigend, ganz gleich, wer seinen Ärger provoziert hat. Diese übertriebenen Reaktionen wirken dann schon beinahe wieder komisch.

Eines Tages, er ist aufs Land gefahren, um ein wenig auszuspannen, lernt er in einem Cafe die Kellnerin Alma (Vicky Krieps) kennen, ein junges Mädchen, das sich sofort in ihn verliebt. Er nimmt sie mit nach London und macht sie zu seinem Model, an dem er seine neuen Kreationen ausprobiert. Sie wohnt auch bei ihm im Haus, und schon bald sind sie ein Paar.

Vicky Krieps ist faszinierend in dieser Rolle. Mit Daniel Day-Lewis steht ihr ein schauspielerisches Schwergewicht gegenüber, und die Rolle der Alma erfordert es, dass sie ihm selbstbewusst gegenübertritt. Das gelingt ihr mit einer Kraft, die überhaupt nicht zu ihrem püppchenhaften Gesicht passen will. Je weiter der Film vorankommt, desto stärker wird sie, dabei streift sie immer mehr die anfängliche Nervosität und Unsicherheit ihrer Figur ab.

Denn darum geht es: Reynolds und Alma kommen sich immer näher, heiraten sogar, doch sein skurriles Verhalten kann er nicht ablegen. Er ist wie er ist, doch sie will ihn anders, will eine größere Rolle in seinem Leben spielen. Und so eskaliert diese Beziehung.

"Der seidene Faden" ist ein Arthouse-Streifen mit minimaler Handlung und wenigen Hauptfiguren. Regisseur P. T. Anderson ("There Will Be Blood", "Inherent Vice") hatte schon immer ein Faible für Details, und so kann man üppige, historische Haute-Couture-Kleider und traditionelles Schneiderhandwerk bewundern. In erster Linie schaut man ihn sich jedoch wegen der beiden Hauptdarsteller an, vor allem auch, da Daniel Day-Lewis vor einigen Monaten ankündigte, dies würde sein letzter Film werden. Und man muss den Mut von P. T. Anderson bewundern, dem es, wie bereits bei "Boogie Nights" oder "Punch-Drunk Love" (mit Adam Sandler!) offensichtlich völlig wurscht ist, was die Leute von seinen Filmen und ihren Themen halten.

"Der seidene Faden" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Mittwoch 07 Februar 2018 23:08

« Januar 2018 | Zurück nach oben | März 2018 »