« Dezember 2017 | Startseite | Februar 2018 »

Archiv vom Januar 2018

Filmkritik: "Three Billboards outside Ebbing, Missouri

Geschrieben am Dienstag 30 Januar 2018 um 22:08 von Roland Freist

Wut und Vergebung

Dies ist ein Film über die Wut. Er zeigt, wie sie entsteht, wie sie aus den Menschen herausbricht und was sie mit ihnen macht. Aber er zeigt gleichzeitig, dass die Wut durch Verständnis und Vergebung überwunden werden kann und sollte. Ein großer Film.

Mildred Hayes (Frances McDormand) ist wütend. Vor einem halben Jahr ist ihre Tochter ermordet worden. Während das Mädchen bereits im Sterben lag, hat der Mörder sie auch noch vergewaltigt. Die örtliche Polizei mit Sheriff Willoughby (Woody Harrelson) an der Spitze hat den Täter bisher nicht gefasst, hat noch nicht einmal eine Spur. Sie geht in das Büro einer kleinen, lokalen Werbeagentur, bucht für 5000 Dollar drei Reklametafeln und lässt sie beschriften mit "Raped While Dying", "And Still No Arrests?", "How Come, Chief Willoughby?". Ab diesem Moment beginnt die Situation zu eskalieren.

Willoughby hat Krebs im Endstadium, er wird nicht mehr lange leben. Er hat einen Hilfssheriff, Dixon (Sam Rockwell), der nur mit Mühe die Abschlussprüfung an der Polizeischule geschafft hat. Er ist im Ort bekannt dafür, dass er in der Vergangenheit Schwarze gefoltert und verprügelt hat. Auch er wird wütend, geht zum Inhaber der Werbeagentur (Caleb Landry Jones), wirft ihn aus dem Fenster im ersten Stock und schlägt ihn auf der Hauptstraße von Ebbing vor den Augen des neuen Polizeichefs und des ganzen Ortes zusammen. Aber auch das ist noch nicht das Ende der Eskalation.

Frances McDormand ist in diesem Film von einer Reihe guter bis sehr guter Schauspieler umgeben (mit dabei sind unter anderem noch Abbie Cornish als Willoughbys Frau, Zeljko Ivanek als ein weiterer Polizist sowie Peter Dinklage ("Game of Thrones") als ein Verehrer von Mildred). Doch in jeder Situation beherrscht sie die Leinwand mit ihrem eiskalten Zorn, ihrem Sarkasmus, aber später auch mit ihrer Verletzlichkeit und Trauer. Für "Fargo" hat sie damals den Oscar als beste Hauptdarstellerin erhalten, jetzt könnte noch eine weitere Statue dazukommen. Mildred Hayes schlägt wild um sich, es ist ihr egal, wen sie dabei wie hart trifft. Sie beleidigt den örtlichen Priester, der sie zur Mäßigung auffordert, und erklärt ihm, sie würde keine Ratschläge annehmen von Männern, die im Hinterzimmer heimlich Ministranten ficken. Sie weiß auch von Willoughbys Krebserkrankung und sagt ihm, dass die Reklametafeln ja wohl keinen Sinn mehr machen würden wenn er bereits tot wäre. Als jemand eine Büchse auf ihr Auto wirft, während sie morgens ihren Sohn in die Schule bringt, steigt sie aus und tritt auf der Suche nach dem Täter zwei Kinder zusammen. Das alles ist so übertrieben, dass es schon wieder witzig ist. Doch je länger der Film dauert, desto deutlicher zeigen uns Frances McDormand und Regisseur Martin McDonagh ("Brügge sehen… und sterben?", "7 Psychos"), was tatsächlich hinter der versteinerten Fassade dieser Frau vorgeht. Und das ist dann nicht mehr lustig.

"Three Billboards" zeichnet das Bild einer Gruppe von Menschen, von denen keiner nur das ist, was er zu Anfang zu sein scheint. Keiner von ihnen ist nur schuldig oder verdammenswert, alle haben auch ihre guten Seiten. Sogar Hilfssheriff Dixon, der wegen seines Rassismus zur am stärksten diskutierten Figur des Films wurde, erweist sich zum Schluss als passabler Ermittler. McDonagh hat darauf verzichtet, die Welt von Ebbing, Missouri, in Gute und Böse einzuteilen. Es gibt nur normale Menschen. Und diese Menschen können einander auch vergeben, egal, was sie sich angetan haben. Das ist zum Schluss dann auch der Hoffnungsschimmer, mit dem der Film die Zuschauer aus dem Kino entlässt.

"Three Billboards outside Ebbing, Missouri" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Die dunkelste Stunde"

Geschrieben am Freitag 19 Januar 2018 um 21:49 von Roland Freist

Churchills hellste Stunde

Der Film hat den falschen Namen. Wenn es nicht schon im vergangenen Jahr einen Streifen mit diesem Titel gegeben hätte, müsste er eigentlich "Churchill" heißen anstatt „Die dunkelste Stunde“ („Darkest Hour“). Denn tatsächlich geht es erst in zweiter Linie um den kurzen Moment, in dem Englands Regierung nahe dran war, mit Hitler Verhandlungen über einen Friedensvertrag aufzunehmen. Im Mittelpunkt des Films des britischen Regisseurs Joe Wright ("Stolz und Vorurteil", "Wer ist Hanna?") steht ganz klar die Figur des britischen Premierministers jener Zeit, brillant verkörpert von Gary Oldman ("Léon – Der Profi", "Dame König As Spion").

Churchill kam 1940 an die Regierung, obwohl seine Partei, die britischen Konservativen, nicht viel von ihm hielt. Sein Vorgänger Neville Chamberlain, der gegenüber Hitler eine Appeasement-Politik gefahren hatte, war gescheitert. Deutsche Truppen hatten Polen besetzt und beginnen zu Beginn des Films mit dem Feldzug gegen die Niederlande, Belgien und Frankreich. Die aufs Festland übergesetzte britische Armee wird immer weiter an den Ärmelkanal und die Häfen von Calais und Dünkirchen zurückgedrängt. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die gesamten englischen Streitkräfte entweder tot oder in Gefangenschaft sind und die deutschen Armeen ohne Gegenwehr auf die britische Insel übersetzen können.

In dieser Situation war der ehemalige Militär Churchill eine Notlösung. Seine Partei und auch der englische König George VI. (Ben Mendelsohn) hätten den Außenminister Viscount Halifax (Stephen Dillane) als Premierminister vorgezogen, der jedoch lehnte ab. Halifax und einige Mitglieder des Oberhauses hatten im Hintergrund längst begonnen, vorsichtige Kontakte zu Italien aufzunehmen, das sie sich als Vermittler für den gewünschten Waffenstillstand mit Deutschland wünschten.

Churchill ist sich der Situation wohl bewusst. Er steht unter enormem Druck. Gary Oldman spielt ihn als nervösen, oft unsicheren alten Mann, der ständig in alle Richtungen gleichzeitig zu denken scheint. Das ist nicht der intellektuelle, arrogante Churchill, den man aus anderen Filmen und Serien kennt, der Mann, der allen anderen Politikern in seinem Kabinett um Längen überlegen ist. Dieser Churchill weiß lange Zeit nicht, was er tun soll, und ist in seiner schwärzesten Stunde nahe dran, den bequemen Ausweg über die Friedensverhandlungen zu gehen.

Gleichzeitig jedoch, und da wird es ärgerlich, präsentiert der Film die ganzen Marotten von Churchill so, als handele es sich um eine Komödie mit einem dicken, alten Mann als liebenswertem, leicht schusseligem Protagonisten. Während der gesamten ersten Stunde wirkt es so, als sei da draußen zwar irgendwie Krieg, wichtiger jedoch sind die Spleens des dicken Mannes, seine lustigen Sprüche, wie er seine Sekretärin (Lily James) verschreckt, wie er ihr, in der Badewanne liegend, seine Reden diktiert oder sein unkonventioneller Tagesablauf. "Die dunkelste Stunde" findet erst zum Schluss, als die Situation tatsächlich ausweglos scheint, zu einem ernsten Tonfall, und wechselt dann leider sofort zu einem schwer erträglichen, schmalzigen Pathos, Großaufnahmen von kleinen Kindern und weinenden Frauen inbegriffen. Und natürlich darf auch die dröhnende Musik nicht fehlen.

"Die dunkelste Stunde" kann zwei große Pluspunkte für sich verbuchen: die Darstellung von Gary Oldman als Winston Churchill und die tollen Bilder und Einstellungen des französischen Kameramanns Bruno Delbonnel, der zuvor beispielsweise "Die fabelhafte Welt der Amelie" gedreht hatte. Doch ansonsten ist sehr viel schiefgegangen. Vergleicht man diesen Film etwa mit "The King’s Speech", der ungefähr zur gleichen Zeit spielt, so werden die Qualitätsunterschiede überdeutlich. Ein Oscar für Gary Oldman wäre mehr als verdient, mehr jedoch nicht.

"Die dunkelste Stunde" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Freitag 19 Januar 2018 22:50

Filmkritik: "The Commuter"

Geschrieben am Dienstag 16 Januar 2018 um 22:23 von Roland Freist

Finde den Fremden

"The Commuter" ist ein ärgerlicher Film. Er hat ein Ensemble guter bis sehr guter Schauspieler, einen erfahrenen Action-Regisseur, ein offensichtlich sattes Produktions-Budget – und dennoch ist nur ein völlig unglaubwürdiger und mäßig interessanter Film entstanden. Da die Hauptdarsteller, allen voran Liam Neeson, ihren Job dennoch sehr ernst nehmen und so tun, als wüssten sie nicht, dass sie Teil einer absolut lächerlichen Handlung sind, entsteht sogar eine gewisse Fallhöhe und damit ein beinahe schon humoristischer Effekt.

Erzählt wird die Geschichte des New Yorker Versicherungsvertreters Michael MacCauley (Liam Neeson), der eines Tages völlig überraschend im Rahmen eines Personalabbaus gefeuert wird, in eine Bar geht, dort ein Bier mit einem alten Polizisten-Kumpel (Patrick Wilson) trinkt – er war früher selbst bei der Polizei – und ihm sein Leid klagt: keine Rücklagen, zwei Hypotheken, Familie zu versorgen. Außerdem ist MacCauley schon 60 Jahre alt. Danach steigt er in seinen Pendlerzug – englisch: Commuter – und fährt nach Hause. Im Zug spricht ihn eine Frau namens Joanna (Vera Farmiga) an: 100000 Dollar will sie ihm zahlen, wenn er eine Person findet, die nicht in diesen Zug gehört, also nicht jeden Tag in die Stadt und wieder zurück pendelt. MacCauley willigt ein. In der Folge stellt sich heraus, dass Joanna und ihre Helfershelfer ihn im Zug nicht nur permanent überwachen, sondern auch seine Familie entführt haben. Außerdem erfährt MacCauley, dass sie hinter einem Zeugen her sind, der einen Mord beobachtet hat und jetzt in diesem Zug zum FBI fährt, um seine Aussage zu machen.

Dass alles ist so konstruiert und an den Haaren herbeigezogen, dass man sich schon im Kino vor lauter Fremdschämen in seinem Sessel verkriechen möchte. Warum kann das FBI diesen Zeugen nicht in Manhattan befragen und dort wirksam beschützen? Warum hat eine offensichtlich professionell arbeitende Verbrecherorganisation eine Viertelstunde vor Abfahrt des Zuges noch keine geeignete Person, die für sie nach dem Zeugen sucht? Wie können sie so schnell eine etliche Kilometer entfernt wohnende Familie entführen? In der Schlussszene versucht sich der Film noch an einer Erklärung, die dann jedoch überhaupt keinen Sinn mehr ergibt.

Die gesamte Handlung ist hanebüchener Unsinn. Und das Schlimmste ist: Der Film unternimmt keine Anstrengungen, diesen Blödsinn wenigstens mit ein paar Tricks zu vertuschen, so dass man erst auf dem Nachhauseweg darauf kommt, dass sich die Ereignisse so nicht abgespielt haben können. Und so ärgert man sich eben.

Liam Neeson hat in den vergangenen Jahren einige saubere Actionfilme wie etwa "96 Hours" gedreht, mit dem gleichen Regisseur (Jaume Collet-Serra) und Diane Kruger an seiner Seite beispielsweise "Unknown Identity". "The Commuter" ist mehr Krimi als Actionstreifen, mehr Hercule Poirot als Bruce Willis. Sieht man sich das Ergebnis an, kann man nur hoffen, dass Neeson das nächste Mal wieder einen Ex-Geheimdienstmann spielt anstatt einen ins Versicherungsgeschäft gewechselten Polizisten.

"The Commuter" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

« Dezember 2017 | Zurück nach oben | Februar 2018 »