Geschrieben am Donnerstag 28 Januar 2016 um 17:57 von Roland Freist
Die beiden Videoartisten und Regisseure Nick
DenBoer und Davy
Force haben mit "The Chickening" eine brillant editierte Parodie auf
Stanley Kubricks Horror-Meisterwerk "Shining"
vorgelegt. Das Video wurde bereits auf dem Sundance Filmfestival und
beim Toronto International Film Festival gezeigt.
Geschrieben am Montag 25 Januar 2016 um 12:01 von Roland Freist
Puppen und wie sie die Welt sehen
Warum dreht man heute noch einen Film mit Puppen? Und vor allem im
aufwendigen Stop-Motion-Verfahren, bei dem Bild für Bild einzeln
belichtet wird? Im Fall von "Anomalisa" scheint die Antwort ziemlich
klar: Eine Puppe ist ein Ding, etwas Austauschbares, zudem liegt die
Assoziation zur Marionette nahe. Und beides passt sehr gut zu diesem
Film, der komplett als Animationsfilm ausgeführt ist.
Er handelt von Michael Stone, einem Mann in seinen frühen 50ern,
eindrucksvoll ergraut, ein erfolgreicher Coach für Service-Angestellte,
der auch ein gut verkauftes Buch geschrieben hat. Zu Anfang sehen wir
ihn auf dem Flug nach Cincinatti, wo er einen Vortrag halten soll. Alle
Menschen um ihn herum nerven ihn, sein Sitznachbar im Flugzeug, der
Taxifahrer, der ihn zum Hotel bringen soll, der Hotel-Rezeptionist. Und
nach kurzer Zeit stellt man erstaunt fest, dass sich alle diese Leute
nicht nur ähnlichsehen, sondern mit ein und derselben Stimme sprechen.
Auch die Frauen und Kinder, denen Michael begegnet und mit denen er auf
seinem Zimmer telefoniert, etwa seine Frau und sein Sohn daheim in Los
Angeles, haben diese Stimme. Und wir verstehen, dass er aller dieser
Menschen überdrüssig ist.
Doch dann hört er auf einmal eine andere Stimme, die einer jungen Frau.
Sie gehört Lisa Hesselman, eine Service-Mitarbeiterin eines großen
Unternehmens, die am nächsten Tag seinen Vortrag besuchen will. Sie ist
jung, ein wenig pummelig und wegen einer Narbe neben ihrem rechten Auge
im Umgang mit anderen gehemmt. Doch Michael ist fasziniert von ihr:
Endlich jemand, der aus der Masse heraussticht. Er lädt sie und ihre
Kollegin in die Hotelbar ein, und am Ende des Abends landen Lisa und er
im Bett. In einer sehr romantischen Szene haben sie Sex, keinen
durchchoreographierten Model-Sex wie man ihn sonst in Filmen sieht,
sondern realistischen Sex inklusive schüchternem Herantasten,
versehentlichem Kopfanstoßen und 60-Sekunden-Koitus. Alles ist
wundervoll, und Michael ist sehr verliebt. Doch am folgenden Morgen
beginnt sich Lisas Stimme zu verändern.
Regisseur Charlie Kaufman hat in den vergangenen Jahren meist als
Drehbuchautor gearbeitet, für "Vergiss
mein nicht" bekam er 2005 den Oscar. In seinen Filmen, und
dabei vor allem in seinem Meisterwerk "Being
John Malkovich", interessiert er sich dafür, was in den Köpfen
der Menschen vorgeht, was sie denken und fühlen. In "Anomalisa" nimmt er
sich einen ganz bestimmten Typus und seine Welt vor, den mittleren
Angestellten und typischen Geschäftsreisenden, der aus den weltweit
überall gleich aussehenden Hotels der großen Ketten seine Familie
anruft, anschließend One-Night-Stands mit flüchtigen Bekanntschaften
hat, und innerlich bereits weitgehend abgestorben ist. Michael spricht
am nächsten Tag in seiner Präsentation darüber, dass man jeden Kunden
als Individuum betrachten und auf ihn zugehen müsse, um erfolgreich zu
sein. Doch für ihn sind sie alle nur noch eine große, ununterscheidbare
Masse. Und selbst wenn dann mal jemand Besonderes auftaucht, ist das für
ihn nur eine kurze Abwechslung. Michael nutzt Menschen wie Lisa aus und
lässt sie dann wieder fallen.
Das ist natürlich eine sehr düstere Bestandsaufnahme. Doch wie immer bei
Charlie Kaufman gibt es auch ein Fünkchen Hoffnung, das sich wie in
seinen anderen Filmen auch hier ganz am Schluss zeigt. Außerdem hat der
Mann Humor, was hier vor allem bei einer Szene in einem Laden für
Sexspielzeug zum Tragen kommt, und die depressive Grundstimmung immer
mal wieder für kurze Momente aufhellt.
"Anomalisa" ist nicht Kaufmans bester Film, dafür wurde die im Grunde
sehr simple Handlung zu stark ausgewalzt, um auf die 90 Minuten
Spielfilmlänge zu kommen. Doch es ist mal wieder ein sehr eindringliches
und eigenwilliges Werk geworden, ein Puppenspielfilm für Erwachsene, der
dennoch realistischer ist als die meisten anderen Filme, die in die
Kinos kommen.
Geschrieben am Dienstag 19 Januar 2016 um 22:45 von Roland Freist
Eine Wette gegen die Wirtschaft der Vereinigten Staaten
Als am 15. September 2008 die amerikanische Bank Lehman Brothers
zusammenbrach und von einem auf den anderen Tag den Geschäftsbetrieb
einstellte, löste das ein weltweites Beben aus. In nahezu allen
westlichen Industriestaaten wurden Aufträge storniert, Mitarbeiter
entlassen, Banken, aber auch Versicherungen, mussten teilweise mit
dreistelligen Milliardensummen gestützt werden. Dennoch mussten viele
Finanzinstitute Konkurs anmelden, es folgte eine jahrelange
Wirtschaftskrise.
Erst nach einiger Zeit erkannte man die Ursache des Crashs: Es war die
in den USA sehr beliebte Hypotheken-Finanzierung von Eigenheimen.
Jahrelang hatten die Banken nahezu unkontrolliert Darlehen an Personen
vergeben, die sich ein eigenes Haus eigentlich gar nicht leisten
konnten. Bei diesen Hypotheken bestand daher ein hohes Risiko, dass die
Schuldner das Geld nicht würden zurückzahlen können. Im Bankenjargon
nannte man sie daher euphemistisch Subprime-Kredite. Aufgrund der
mangelnden Aufsicht der Finanzinstitutionen wurden sie jedoch be- und
gehandelt, als wären es Kredite der obersten Kategorie mit der Bewertung
AAA, bei denen so gut wie kein Ausfallrisiko besteht.
Was ein Subprime-Kredit ist, erklärt in "The Big Short" die australische
Schauspielerin Margot Robbie, die in "The
Wolf of Wall Street" einen aufsehenerregenden Auftritt hatte.
Dieses Mal liegt sie in einem Schaumbad, sieht dem Zuschauer direkt in
die Augen, erklärt ihm, dass Subprime "scheiße" sei, und sagt dann auch,
warum. Es gibt mehrerer solcher Szenen: In einer erklärt der
amerikanische Fernsehkoch Anthony Bourdain ("Anthony Bourdain – eine
Frage des Geschmacks", bei uns auf DMAX) anhand eines Fischeintopfs, wie
aus man faulen Kredite gut bewertete Anleihen macht. Und in einer
anderen zeigt Selena Gomez beim Black Jack in Las Vegas, wie die Wetten
auf solche Anleihen funktionieren.
Die Finanzkrise der Jahre 2007 und 2008 ist für Menschen außerhalb des
Bankensektors schwer zu verstehen, was unter anderem an dem Kauderwelsch
liegt, dessen sich die Insider bedienen – wie der Film erklärt, hat das
in erster Linie den Zweck, dass niemand den Bankern reinredet und sie
machen können, was sie wollen. Um den Stoff für ein Massenpublikum so
aufzubereiten, dass es die Hintergründe nicht nur versteht, sondern auch
Interesse dafür entwickelt, setzt Regisseur Adam McKay virtuos das
gesamte Spektrum der filmischen Möglichkeiten ein. Neben der bereits
erwähnten, direkten Ansprache durch Schauspieler, denen man bislang
keinen tiefgreifenden Kenntnisse der Finanzbranche nachgesagt hatte,
lässt er die Protagonisten ihre Geschäfte anhand von einfachen
Beispielen erklären, er arbeitet mit Rückblenden, verwendet eine
Handkamera und unterscheidet die handelnden Personen in Gut und Böse.
Und, ganz wichtig: McKay hat die wohl hochkarätigste Besetzung
zusammengetrommelt, die ein Film in dieser Saison aufweisen kann. Da ist
zum einen Christian Bale, der Dr. Michael Burry spielt, einen Analysten
mit leichtem Asperger-Touch, der seine an einen Hurrikan erinnernde
Frisur einem Billigfriseur verdankt, im Büro grundsätzlich barfuß läuft
und zur Entspannung Metallica auf voller Lautstärke hört. Er erkennt
bereits 2005, welches Risiko in den Immobilien-Krediten liegt, und
beginnt, auf stark fallende Preise für die Anleihen zu wetten. Bale
gelingt es, diese Rolle vollkommen glaubhaft zu spielen, ohne dass man
genau sagen könnte, wie er das macht. Der beste Schauspieler des Films.
Weiter geht’s mit Steve Carell ("Foxcatcher"),
der den verhaltensauffälligen, unabhängigen Broker Mark Baum spielt. Er
bekommt Wind von Burrys Geschäften und beginnt mit seinem Team eine
Recherche, wie es um den Immobilienmarkt tatsächlich bestellt ist und
wer die Personen sind, die die Hypotheken aufgenommen haben. Dabei stößt
er unter anderem auf windige Makler und eine Stripperin, die mit den ihr
zugesteckten Dollarnoten fünf Häuser und eine Eigentumswohnung
finanziert. Danach beginnt Baum, ebenfalls gegen die Banken zu wetten.
Ryan Gosling ("Drive")
wiederum ist ein Händler der Deutschen Bank (die hier übrigens als eine
der Hauptverantwortlichen für die Krise genannt wird). Gosling spielt
mal wieder gegen sein Image des coolen Schweigers an und gibt, mit
bizarrer Pudelfrisur, den zynischen, geldgeilen Wall-Street-Banker. Und
schließlich sind da noch Charlie Geller (John Magaro) und Jamie Shipley
(Finn Wittrock), die einen kleinen Hedgefonds gegründet haben und sich
den Ex-Broker Ben Ricker (Brad Pitt) holen, um ebenfalls gegen die
Banken zu wetten. Der Film folgt diesen Figuren, während die Krise immer
näher kommt. Er zeigt die Zweifel, die sie zwischendurch befallen, den
Druck, dem sie von Seiten ihrer Chefs und anderer Banker ausgesetzt
sind. Doch als sie zum Schluss gewonnen und recht behalten haben, ist es
kein Triumpf, denn rings um sie herum liegt die ganze Weltwirtschaft in
Trümmern. Einige der handelnden Personen verdienen noch nicht einmal
Geld mit ihren Investments, da die Banken, gegen die sie gewettet haben,
mittlerweile pleite sind.
Ich habe nicht alles verstanden, was "The Big Short" als Ursachen der
Weltwirtschaftskrise anführt. Zu viele Fachbegriffe prasseln in Lauf der
mehr als zwei Stunden auf die Zuschauer ein, und die Geschäfte mit den
Subprime-Krediten sowie die Wetten gegen sie steigern sich im Laufe der
Zeit zu absolut wahnsinnigen, von der Realität der Hauskäufer völlig
losgelösten Fantasie-Gebilden. Doch das große Verdienst dieses Films
ist, dass man das Kino verlässt und zumindest eine Ahnung davon hat, was
damals geschehen ist. Und nicht zuletzt wurde man zugleich auch noch
sehr gut unterhalten.
Geschrieben am Montag 11 Januar 2016 um 23:24 von Roland Freist
Back to Life
Das englische Wort revenant steht im Deutschen für einen Wiedergänger,
also für einen Geist, der von den Toten auferstanden ist. Das trifft es
bei diesem Film recht genau, denn die Hauptperson, ein Trapper namens
Hugh Glass (Leonardo DiCaprio), ist eigentlich schon tot und erhebt sich
dann dennoch wieder aus seinem Grab. Die Übersetzung von "The Revenant"
mit "Der Rückkehrer" durch den deutschen Verleih kann man dagegen nur
als Spoiler bezeichnen, denn sie verrät mehr vom Ausgang des Films als
man wissen wollte.
Der Film basiert auf dem Roman von Michael Punke, der darin erzählt, wie
Hugh Glass im Jahr 1823 den Angriff eines Grizzlybären schwer verletzt
überlebte und sich anschließend durch die Wildnis zurück zum rettenden
Fort schleppte. Regisseur Alejandro González Iñárritu ("Birdman"),
der zusammen mit dem Horrorfilm-Spezialisten Mark L. Smith ("Motel")
auch das Drehbuch schrieb, hat die literarische Vorlage deutlich
erweitert.
Seine Geschichte beginnt mit dem grandios fotografierten Angriff eines
Indianerstamms auf das Camp einer Gruppe von Pelzjägern. Die Indianer
haben es auf die wertvollen Pelze abgesehen. Sie sind den Weißen
deutlich überlegen, nur etwa ein Dutzend Jäger können dank der Hilfe von
Glass überleben und flüchten. Als er dann selbst beim Kampf mit dem
Grizzly nahezu getötet wird und kaum noch transportfähig ist, erklären
sich zwei der Jäger sowie sein Sohn Hawk (Forrest Goodluck) bereit, bei
ihm zu bleiben und ihn, falls er sterben sollte, ordentlich zu begraben.
Alle anderen kehren zurück zum Fort, einem Außenposten der Armee. Einer
der beiden Jäger jedoch, die bei ihm geblieben sind, ein Mann namens
John Fitzgerald (Tom Hardy, "The
Dark Knight Rises"), hat keine Lust zu warten. Er tötet Glass‘
Sohn, schaufelt ein Grab für Glass, wirft ihn hinein und belügt den
zweiten, jungen Jäger Bridger (Will Poulter), indem er ihm sagt, er habe
Indianer in der Nähe gesehen. Sie lassen Glass liegen und fliehen. Hugh
Glass, der mehr tot als lebendig ist und sich nur noch kriechend
fortbewegen kann, versucht sich unter unsäglichen Schmerzen ebenfalls zu
retten.
Die beeindruckendsten Momente des Films kommen im ersten Drittel. Den
Angriff der Indianer auf das Camp inszeniert Iñárritu auf die gleiche
Weise, wie er den gesamten "Birdman" angelegt hat, nämlich als eine
lückenlose Aneinanderreihung von Szenen. Eine Figur übergibt den Stab
quasi an die andere, und die Kamera folgt ihnen dabei. Für den Zuschauer
wirkt das, als gäbe es keine Schnitte, als würde der Betrachter mit den
Augen von einem Schauplatz zum nächsten wandern. Kameramann Emmanuel
Lubezki, der 2013 bereits den Oscar für "Gravity"
und 2014 für "Birdman" bekam, bleibt nicht nur in dieser Szene dicht an
den Figuren dran, so dicht, dass ihr Atem teilweise die Linse beschlagen
lässt. Der Effekt erinnert an die berühmte Strandszene von Spielbergs "Der
Soldat James Ryan", in der Janusz Kaminski das Blut der
Verwundeten auf das Objektiv spritzen ließ.
Ebenso intensiv ist der Angriff des Grizzly, eines Muttertiers, das
seine beiden Jungen beschützen will. In einer quälend brutalen, mehrere
Minuten langen Sequenz scheint der Bär den Körper von Glass zerfetzen zu
wollen, unterbrochen immer wieder von Pausen, in denen er zu überlegen
scheint, wie es weitergehen soll. Immer wenn man meint, dass es nun
endlich vorbei ist, erfolgt eine weitere wütende Attacke. Und auch hier
ist die Kamera immer nur ein paar Zentimeter entfernt. Nimmt man noch
die grandiosen Aufnahmen der verschneiten Berglandschaft dazu, dann wäre
es kein Wunder, wenn Lubezki für "The Revenant" seinen dritten Oscar in
Folge bekommen würde.
In der vergangenen Nacht hat der Film die Golden Globes für das beste
Drama und den besten Regisseur erhalten, dazu wurde auch Leonardo
DiCaprio als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Und das völlig zu
recht, denn in diesem Film gelingt es ihm meiner Meinung nach zum ersten
Mal, sein übliches, jugendliches Streber-Image komplett abzulegen. Die
ersten tieferen Falten in seinem Gesicht tun ihm sehr gut, und er wirkt
als schmerzerfüllter Veteran sehr überzeugend. Ich bin ehrlich gespannt
auf seine nächsten Filme. Tom Hardy, bereits seit Jahren einer der
besten jüngeren Schauspieler in Hollywood, schlüpft ohne Probleme in die
Rolle des zynischen, kaltblütigen Pelzjägers, und dem erst 22-jährigen
Will Poulter sieht man seine Angst und die Unsicherheit über die
richtige Entscheidung deutlich an.
Die grundlegenden Motive von "The Revenant" sind altbekannt – der Mensch
im Kampf mit der Natur und der lange Weg zur Rache am Mörder der
nächsten Angehörigen. Doch der Stil, wie Iñárritu und Lubezki das
inszenieren, ist in vielen Passagen neu und ungewöhnlich. Das und die
guten darstellerischen Leistungen machen ihn zu einem der besten Filme
des Jahres.
Geschrieben am Sonntag 03 Januar 2016 um 22:33 von Roland Freist
Wie der Wischmopp in die Welt kam
Nach diesem Film muss die Geschichte des Wischmopps in weiten Teilen neu
geschrieben werden. Das ist jetzt natürlich ein wenig unfair gegenüber
"Joy", denn tatsächlich erzählt dieser Film weniger die Historie des
modernen Mopps als vielmehr die Geschichte seiner Erfinderin, der in
einfachen Verhältnissen aufgewachsenen Joy Mangano (Jennifer Lawrence).
Laut Vorspann hat sich die Geschichte tatsächlich ungefähr so zugetragen.
Joy lebt gemeinsam mit ihrer Mutter (Virginia Madsen), ihrem singenden
Ex-Mann Tony (Edgar Ramirez, "Carlos"),
ihren beiden Kindern aus dieser Ehe sowie ihrer Großmutter (Diane Ladd)
in einem kleinen Haus auf Long Island. Gleich zu Anfang klopft auch noch
ihr Vater Rudy (Robert de Niro) an die Tür und zieht ebenfalls mit ein.
Keiner von ihnen verdient viel Geld, ein Wasserrohrbruch, der die
Beauftragung eines Klempners erforderlich macht, ist eine mittlere
Katastrophe. Doch dann lernt Joys Vater die wohlhabende Witwe Trudy
kennen (Isabella Rossellini), welche die gesamte Familie zu einem
Bootsausflug einlädt. Als dabei einige Weingläser kaputtgehen und Joy
sich beim Aufwischen der Bescherung an den Scherben die Hände
aufschneidet, nimmt in ihr die Idee eines Mopps Gestalt an, den man
mechanisch auswringen und zum Schluss in die Waschmaschine stecken kann.
Doch bevor das Gerät in größeren Stückzahlen produziert werden kann und
Gewinne abwirft, muss Joy noch jede Menge Hindernisse überwinden. Das
größte Problem ist dabei der Vertrieb. Durch die Beziehungen ihres
Ex-Manns bekommt sie Kontakt zu Neil Walker (Bradley Cooper), dem
erfolgreichen, ehemaligen Manager einer Kaufhauskette, der gerade QVC
gegründet hat, einen der ersten Homeshopping-Sender. Joy kann ihn
überzeugen, sie zu unterstützen. Doch der Erfolg kommt erst in dem
Moment, in dem sie ihren Mopp nicht mehr von Moderations-Profis
vorstellen lässt, sondern ihn selber vor der Kamera präsentiert.
Regisseur David O. Russell setzt mit "Joy" seine Studien der
amerikanischen unteren Mittelschicht fort, die er mit "Silver
Linings" und den nahezu gleichen Schauspielern vor zwei Jahren
begonnen hat. Er hat den Film allen starken Frauen gewidmet, die sich
wie seine Hauptfigur nach oben gekämpft haben, dennoch ist es keine
Geschichte über Emanzipation und Gleichberechtigung geworden. "Joy"
erzählt von einem Einzelschicksal, dem Weg einer jungen Unternehmerin,
mit allen ihren Erfolgen und den Rückschlägen, die sie erleiden muss.
Der Film ähnelt darin ein wenig dem im letzten Jahr erschienenen "Big
Eyes", bei dem es um die Malerin Margaret Keane ging. Beide
Filme bilden große Ausnahmen, denn ansonsten sind die interessanten
Unternehmer- beziehungsweise Künstler-Persönlichkeiten in den
Hollywood-Produktionen üblicherweise Männer. Vielleicht um das
Außergewöhnliche von Joys Karriere zu betonen, wird die Story während
der ersten drei Viertel immer wieder mit der Unterstützung durch
Rückblenden erzählt und von Diane Ladd so kommentiert, dass die
Geschehnisse in einem märchenhaften Licht erscheinen.
Jennifer Lawrence ist mittlerweile die wohl weltweit beste Darstellerin
unglamouröser, auf den ersten Blick durchschnittlicher Frauengestalten
überhaupt. Sie erscheint mit diesem Typ wie verwachsen zu sein, und es
ist schwer, sie sich in einer anders gelagerten Rolle vorzustellen. Auch
dieses Mal gelingt ihr wieder eine oscarreife Vorstellung, und sie wird
die Auszeichnung vermutlich nur deshalb nicht erhalten, weil sie sich
die goldene Statue bereits für "Silver Linings" in den Schrank stellen
konnte. Auch Robert de Niro hat seine Darstellung des grantelnden, stets
ein wenig besorgten Familienvaters perfektioniert. Nach seinen
Mafiafiguren aus den 70er und 80er Jahren hat er in den letzten Jahren
noch einmal einen Typ gefunden, dem er ein eigenes Gesicht verleihen
kann.
Im Vergleich mit "Silver Linings" hat "Joy" eine nochmals bessere
Besetzung aufzuweisen und ist insgesamt auch besser gespielt. Doch auf
der anderen Seite kann die Story nicht ganz überzeugen. Denn letztlich
ist es eben dennoch einfach nur die Geschichte von der Erfinderin des
Wischmopps, einem nützlichen, aber insgesamt wenig faszinierenden
Haushaltsgerät.