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Archiv vom Januar 2015

Filmkritik: "Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)"

Geschrieben am Donnerstag 29 Januar 2015 um 22:37 von Roland Freist

Verführerischer Vogelmensch

Alejandro Iñárritu muss das moderne Superhelden-Kino wirklich hassen. Sein "Birdman", die Figur, die der Protagonist Riggan Thomson (Michael Keaton) einst in zwei Hollywood-Blockbustern spielte, ist eine weitgehend lächerliche Erscheinung, ein Mann in einem wenig eindrucksvollen Vogelkostüm. Dennoch ist Thomson immer wieder seinen Einflüsterungen ausgesetzt, der Birdman erzählt ihm vom großen Geld, das er beim Film verdienen könnte, von dem guten Leben, das er dort hätte. Doch Thomson hat sich fürs Theater entschieden.

Der Film spielt nahezu komplett in den Räumen eines New Yorker Theaters am Broadway. Riggan Thomson inszeniert dort ein Stück nach einer Kurzgeschichte von Raymond Carver und spielt auch selber die Hauptrolle. Gleichzeitig ist er auch der Finanzier, obwohl seine Ersparnisse aus den Hollywood-Jahren mittlerweile aufgebraucht sind und er jetzt sogar sein Haus in Malibu verkaufen muss, um zu überleben. Das Stück muss also ein Erfolg werden, und entsprechend nervös ist er. Michael Keaton spielt das sehr gut, bis nahezu zum Schluss macht er einen nervösen, abgehetzten Eindruck, auch wenn sein Riggan Thomson versucht, wenigstens zwischendurch zeitweise zur Ruhe zu kommen. Doch vergeblich. Ständig werden seine Ruhepausen unterbrochen, von seiner Tochter Sam (Emma Stone), die frisch aus dem Entzug kommt und schon wieder kifft, seiner Ex-Frau Sylvia (Amy Ryan), die ihm vorwirft, sich nicht genügend um eben diese Tochter zu kümmern, seiner neuen Freundin Laura (Andrea Riseborough), die ihm sagt, dass sie schwanger ist, von seinem Manager Brandon (Zach Galifianakis) oder den anderen Schauspielern, darunter der Star Mike Shiner (Edward Norton) und seine alte Freundin Lesley (Naomi Watts). Kein Wunder also, dass Riggan Thomson müde, alt und ausgelaugt wirkt. Die Kamera zeigt uns jede kleine Falte in seinem Gesicht, und davon gibt es bei dem mittlerweile 63-jährigen Keaton eine ganze Menge.

Aber man versteht auch, was den Reiz des Theaters für ihn und wohl auch für Regisseur Iñárritu ausmacht. Die gemeinsame Arbeit am Stück, die Intrigen und Techtelmechtel in den Garderoben und zwischen den Kulissen, die Spannung vor dem Auftritt, die Reaktion des Publikums – man sieht, dass diese Arbeit anstrengend ist, aber eben auch künstlerisch und menschlich befriedigend. Der Film baut das oft arme, aber dafür intellektuell anspruchsvolle Theater an der Ostküste gezielt als Gegenstück zu den flachen, aber mit dreistelligen Millionen-Budgets ausgestatteten Superhelden-Filmen aus Los Angeles auf. In einer kurzen Sequenz zitiert Iñárritu diese Form des Kinos sogar, und für einen kurzen Moment schaut man dabei einer Figur in die Augen, die verdächtig an einen Transformer erinnert.

Eines der bestimmenden Merkmale dieses Films, an das man sich vermutlich auch in einigen Jahren noch erinnern wird, ist seine seltsam unwirkliche, wie ein Traum wirkende Atmosphäre. Iñárritu erreicht das vor allem durch zwei Maßnahmen. Zum einen baut er unvermittelt immer wieder irreale Szenen ein, die den Zuschauer zweifeln lassen, ob er es hier mit Magie oder den Wahnvorstellungen der Hauptperson zu tun hat. Gleich in der ersten Szene sieht man Michael Keaton meditierend etwa einen Meter über dem Boden schweben. Eine Erklärung bleibt der Film schuldig, am wahrscheinlichsten ist, dass es sich um die Phantasien von Riggan Thomson handelt.

Zum anderen haben Iñárritu und sein brillanter Kameramann Emmanuel Lubezki ("Gravity") den Film so gedreht und geschnitten, dass es aussieht, als wäre er in einem einzigen, langen Take aufgenommen. Die Schauspieler mussten sich an Bodenmarkierungen orientieren, die ihnen bei jeder Szene anzeigten, wo sie zum Schluss stehenbleiben sollten. Das Ergebnis wirkt wiederum wie ein Traum oder wie ein ununterbrochen fließender Bewusstseinsstrom, wobei die Zeit mal langsamer, teilweise aber auch, als Timelapse gedreht, sehr schnell vergeht.

Viel ist in den letzten Wochen geschrieben worden über "Birdman" und die Parallelen zu Michael Keatons Karriere mit den beiden Auftritten als "Batman". Fast ebenso oft ging es um die neun Oscar-Nominierungen und die Sympathien in Hollywood für Filme, die sich mit der eigenen Branche auseinandersetzen. Doch kein Film wird besser oder schlechter dadurch, dass man um die Vergangenheit des Hauptdarstellers weiß oder Mutmaßungen über die Vorlieben der Jury bei den Academy Awards anstellen kann. Wenn man diese Aspekte daher einmal beiseitelässt, bleibt ein zwar guter, aber keineswegs überragender Film übrig. "Birdman" ist zu stark gekünstelt, zu sehr konstruiert, um als Meisterwerk durchzugehen. Er trägt beinahe schon Züge einer Parabel, so wie er den Gegensatz zwischen Theater und Kino, Intellekt und Geld aufbaut. Eine solche Konstruktion ist jedoch nicht dazu geeignet, den Zuschauer wirklich zu fesseln. Und obwohl wir ihn beinahe die gesamten zwei Stunden Laufzeit über begleiten und viel über sein Leben und seine Vergangenheit erfahren, bleibt Riggan Thomson dennoch ein Fremder, über dessen Motive man letztlich nur mutmaßen kann. Das gilt insbesondere für den Schluss, der zudem auch nicht so gestaltet ist, dass er einen inneren Nachhall erzeugt.

"Birdman" besitzt neben aller kompositorischen Strenge viel Humor und kann vor allem auf ein großartiges Ensemble verweisen. Neben Michael Keaton kann vor allem Emma Stone überzeugen, die bereits seit mehreren Jahren kontinuierlich gute Arbeit abliefert. Genau wie Keaton und Edward Norton ist auch sie für einen Oscar nominiert. Außerdem startet "Birdman" in den Kategorien "Bester Film", "Beste Regie", "Bestes Drehbuch", "Beste Kamera", "Bester Sound" und "Beste Soundbearbeitung". Der Film wird sicherlich einige Preise gewinnen, denn er ist eines der interessantesten Werke dieses Kinojahres. Aber alle, wie einige Kritiker prophezeien – das wäre eindeutig zu viel.

"Birdman" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Donnerstag 12 März 2015 22:20

Filmkritik: "The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben"

Geschrieben am Donnerstag 22 Januar 2015 um 22:35 von Roland Freist

Schlüsselerlebnisse

Das Genie in Form eines technikverliebten, antisozialen Nerds ist eines der beliebtesten Konstrukte der letzten Jahre. Seine populärste Verkörperung ist derzeit zweifellos Sheldon Cooper (Jim Parsons) aus "The Big Bang Theory", aber auch der von Benedict Cumberbatch gespielte Sherlock Holmes aus der Serie "Sherlock" gehört in diese Reihe. An beiden Figuren wird auch deutlich, woher diese Beliebtheit stammt: Nerds gehören zu den wenigen Menschen, die eine zunehmend von der Technik bestimmte Welt noch verstehen und sie durchdringen können. Gleichzeitig scheitern sie jedoch mit ihrer rein rationalen Denkweise regelmäßig bereits an den kleinsten Anforderungen des Alltags, da sie unfähig sind zur Empathie und die gesellschaftlichen Regeln meist nicht logisch begründet sind. Das macht die Nerds zwar untauglich als Identifikationsfiguren, erzeugt aber andererseits eine Menge Komik und tatsächlich auch Sympathie.

Cumberbatch spielt auch in "The Imitation Game" einen Nerd, den britischen Mathematiker Alan Turing. Der Film erzählt zum einen die Geschichte, wie Turing während des zweiten Weltkriegs gemeinsam mit vier Mitstreitern die militärischen Funksprüche der deutschen Wehrmacht entschlüsselte. Die Deutschen hatten dafür die ENIGMA entwickelt, eine Chiffriermaschine, die Billionen von Verschlüsselungs-Möglichkeiten beherrschte und daher als unknackbar galt. Denn, und das kam noch hinzu, jeden Tag um Mitternacht wurde der Verschlüsselungscode in Form einiger Steckverbindungen geändert, so dass die Dechiffrierung immer wieder aufs Neue begonnen werden musste.

Turing setzt im Film von Anfang an auf die Konstruktion einer Maschine, die die Codes knacken und damit die Entschlüsselung der Nachrichten ermöglichen soll. Wie diese Maschine genau funktioniert, wird nicht erklärt – das hätte vermutlich zu viel Filmzeit in Anspruch genommen, da der Vorgang sehr kompliziert ist, wie die Wikipedia erklärt. Stattdessen stellt der norwegische Regisseur Morten Tyldum Alan Turing genauer vor: Wie konnte er zu einem solchen Außenseiter werden, zu diesem brillanten, aber auch fürchterlich arroganten Mistkerl?

Über Rückblenden auf Turings Kindheit und einen Teil der Geschichte, in dem er im Jahr 1952 einem Polizisten seine Aktivitäten während des Kriegs erzählt, gewinnt das Bild des Wissenschaftlers dann langsam Kontur. Je länger der Film dauert, desto mehr geht er auf die Homosexualität Turings als einen der bestimmenden Faktoren in seinem Leben ein.

Benedict Cumberbatch spielt das brillant. Er gibt seinem Alan Turing beispielsweise einen leichten Sprachfehler, ein ganz kleines Stottern, das in die ansonsten so perfekte arrogante Maske kleine Risse schlägt. Achtet man darauf, so erkennt man zudem hinter all der coolen Britishness immer wieder, dass bestimmte Momente oder Ereignisse mehr in ihm auslösen, als er zugeben will. Ihm zur Seite steht Keira Knightly als Joan Clarke, eine junge Mathematikerin, die nach und nach zur stärksten Verbündeten von Turing wird und zu der einzigen Person, die tatsächlich Einfluss auf ihn hat. Genau wie Cumberbatch wurde auch Knightley für diesen Film für einen Oscar nominiert.

"The Imitation Game" hat einiges gemein mit "The King’s Speech", der 2011 insgesamt acht Oscars einheimste. Beide sind großes Kino in der Hollywood-Tradition, spannend, bewegend, witzig, mit ausgezeichneten Darstellern. Beide nehmen sich eine reale Figur vor, die dazu beigetragen hat, dass England im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis zurückschlagen konnte. Doch während König George VI am Ende ein Gewinner ist, zeigt "The Imitation Game" Alan Turing zum Schluss als einsamen und unglücklichen Mann, der zwar für England den Krieg gewonnen, sein eigenes Leben jedoch verloren hat.

"The Imitation Game" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Wie die Coen-Brüder Filme machen

Geschrieben am Donnerstag 15 Januar 2015 um 16:39 von Roland Freist

Der Filmemacher und Special-Effects-Spezialist Grant Pichla identifiziert in einem Videoessay die wichtigsten Stilmittel und Motive der Regisseurs-Brüder Joel und Ethan Coen:

Bearbeitet: Sonntag 31 Mai 2015 18:44

"Game of Thrones": Der Wein-Mix

Geschrieben am Donnerstag 08 Januar 2015 um 18:47 von Roland Freist

Während RTL2 derzeit mit Wiederholungen auf die Ausstrahlung der vierten Staffel von "Game of Thrones" vorbereitet, ist es an der Zeit, auch einmal auf das massive Alkoholproblem von Westeros hinzuweisen:

Bearbeitet: Donnerstag 08 Januar 2015 18:54

Filmkritik: "Herz aus Stahl"

Geschrieben am Dienstag 06 Januar 2015 um 22:43 von Roland Freist

Ein Tag im Leben eines Sherman Tank

Kriegsfilme sind immer eine heikle Angelegenheit. Selbst wenn sie den Krieg realistisch darstellen, nämlich als ein brutales, meist völlig sinnloses Gemetzel, so halten sie sich doch an die Regeln des kommerziellen Kinobetriebs, was bedeutet, dass sie Spannung und Emotionen vermitteln und Identifikationsmöglichkeiten bieten müssen, wenn sie Besucher anziehen wollen. Genau das ist es jedoch, was viele Zuschauer reizt und das Kriegsgeschehen sogar attraktiv für sie macht: Die Vorstellung, einmal selbst Teil eines großen Abenteuers zu sein, das eigene langweilige Dasein hinter sich zu lassen und wenigstens für kurze Zeit das vermeintlich echte Leben zu spüren. Selbst wenn es für die meisten mit dem Tod endet.

"Herz aus Stahl" macht da keine Ausnahme, auch wenn sich Regisseur David Ayer (Drehbuch zu "Training Day", Regie bei "End of Watch") alle Mühe gibt, jede Mystifizierung von Krieg und Armee nicht nur zu vermeiden, sondern sogar gezielt zu zerstören.

Schauplatz ist Deutschland im April 1945. Jeder weiß, dass der Sieg der Alliierten nur noch ein paar Tage entfernt ist. Dennoch gibt es immer noch deutsche Truppen, darunter vor allem SS-Brigaden und kleine Gruppen des vor allem aus Kindern und älteren Männern bestehenden Volkssturms, die sich den auf Berlin vorrückenden Einheiten in den Weg stellen. Erzählt wird die Geschichte einer fünfköpfigen amerikanischen Panzerbesatzung, die mit ihrem Sherman mehrere Male losgeschickt wird, um zusammen mit anderen Panzern versprengte GIs einzusammeln, bei der Einnahme einer Stadt mitzuhelfen und den Nachschub zu sichern. Die Besatzung unter dem Staff Sergeant Don Collier (Brad Pitt) hat gerade einen ihrer beiden Schützen verloren. Als Ersatz wird ihnen der junge Norman Ellison (Logan Lerman) geschickt, der gerade einmal acht Wochen bei der Armee ist und eigentlich für einen Job in der Schreibstube ausgebildet wurde. Komplettiert wird die Panzer-Besatzung durch den bibeltreuen Richtschützen Boyd Swan (Shia LaBeouf), den ungehobelten Lader Grady Travis (Jon Bernthal) und den lakonischen mexikanischen Fahrer Trini Garcia (Michael Peña).

Die Männer sind alles andere als vorbildliche Soldaten. Sie erschießen Unbewaffnete, die sich bereits ergeben haben, belästigen Frauen, quälen Schwächere und gerne auch die Zivilbevölkerung. Nicht gerade die Typen, mit denen man gerne mal ein Bier trinken würde. Am ehesten kann man sich noch in Norman hineinversetzen, der jedoch innerhalb kürzester Zeit – die Handlung erstreckt sich über gerade einmal 24 Stunden – gezwungen ist, sich den herrschenden Sitten anzupassen, wenn er überleben will.

Der Film spart nicht an drastischen Bildern, um das Grauen des Krieges zu beschreiben. Als Norman zu Collier und seinen Männern stößt, weisen sie ihn als erstes an, die Überreste seines Vorgängers aus dem Panzer zu wischen, inklusive der Hälfte von dessen Gesicht. Menschen werden überrollt, in den Matsch gedrückt, von Kugeln durchsiebt und von Granaten zerfetzt. Die in Grau- und Brauntönen gehaltenen Bilder sind hart und erbarmungslos.

Die Handlung ist spannend, keine Frage, das Tempo ist hoch und der Rhythmus stimmt. Brad Pitt bietet die von ihm gewohnte, souveräne schauspielerische Leistung, auch der Rest der Panzerbesatzung leistet sich keine Ausfälle. Herausheben kann man vielleicht noch Jon Bernthal ("The Walking Dead"), der sehr überzeugend ein richtig unsympathisches Arschloch gibt.

Doch zum Schluss rennt "Herz aus Stahl" in die gleiche Falle wie so viele Kriegsfilme vor ihm. Einer der Männer wird schließlich von anderen GIs zum Helden erklärt. Und natürlich muss die Kamera dann zeigen, wie er aus dem Panzer klettert, sich umschaut, und dann sieht man seinem Gesicht, genau wie den Gesichtern aller seiner Vorgänger in Hunderten von anderen Kriegsfilmen, an, dass er sich überhaupt nicht wie ein Held fühlt, sondern vielmehr wie jemand, der in diese Rolle einfach so reingerutscht ist. Und da ist es dann wieder, dieses stille, unfreiwillige Heldentum, mit dem sich der Zuschauer nur zu gerne identifiziert.

"Herz aus Stahl" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Donnerstag 08 Januar 2015 18:58

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